Du jedoch, der Du in Freiheit lebst...
Die UN-Generalversammlung verkündete am 10. Dezember 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Als ich diese Worte irgendwann im Alter zwischen 11 und 15 Jahren zum ersten Mal bewusst in einem Schulbuch las, dachte ich mir „Das ist doch völlig logisch. Jedes Kind weiß, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Warum muss man das extra in einer aufwendigen Erklärung verankern und von vielen Staaten der Welt unterzeichnen lassen?“
Heute weiß ich es natürlich besser und kann über diesen naiven Gedanken nur auf eine Art und Weise lächeln, wie ich es auch über die Erinnerung tue, als ich meine Mutter mit etwa 4 Jahren fragte, auf welchen Bäumen denn Fleisch wachsen würde.
Und doch ist mein damaliger Gedanke nicht nur ein Spiegel meiner Naivität sondern auch der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen und der Werte, mit denen ich erzogen worden bin. Als behüteter Teenager der österreichischen Mittelschicht war mir zwar klar, dass es „irgendwo da draußen, in den weit entfernten, armen und kriegsgebeutelten Nationen der Welt“ Menschenrechtsverletzungen geben musste aber doch nicht hier, in meinem unmittelbaren Umfeld! Nicht in meiner Stadt, nicht in meinem Land, nicht in der Europäischen Union und anderen Staaten dieser Welt.
Das größte Maß an Ungerechtigkeit, das ich bis dato persönlich erlebt hatte, war eine ausgefeilte Mobbing-Kultur innerhalb einer komplizierten Klassenhierarchie, an deren Spitze ein besonders intelligenter und verbal sehr starker Klassenkamerad stand. Es war äußerst unangenehm, immer wieder dabei zuzusehen, wie auf den „Schwächeren“ der Klasse herumgehackt wurde, wie sie verlacht und herumgeschubst wurden. Doch da mich der „Klassenkönig“ gnädigerweise als „eine der cooleren Personen“ akzeptiert hatte und ich selbst maximal Opfer kleiner freundschaftlicher Sticheleien wurde, war mein Leidensdruck begrenzt und indem ich mich für weniger privilegierte Klassenmitglieder eingesetzt hätte, hätte ich mich nur in Gefahr gebracht, selbst ins Abseits zu geraten. Und natürlich glaubte keiner von uns, dass die Außenseiter weniger wert waren… sie waren nur irgendwie verbal unterlegen oder hatten komische Klamotten an oder waren unglücklicherweise weniger gutaussehend…. Aber das machte sie doch nicht zu weniger wertvollen Menschen. Oder doch?
Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand von uns damals die Wert-Frage aktiv stellte oder sie gar negativ beantwortet hätte, wenn er gefragt worden wäre. Was ich aber zu 100% sagen kann, ist, dass wir diejenigen am unteren Ende der Hackordnung als weniger „würdig“ ansahen… weniger würdig unserer Wertschätzung, Anerkennung und unseres Respekts. Sie bekamen gar keine Chance, sich diese zu verdienen- Faktoren, die sich ihrer Kontrolle vollständig entzogen, hatten sie zu Opfern gemacht, ohne dass sie jemals die Entscheidung getroffen hatten, „Opfer“ zu sein.
Und so fand tagein, tagaus, zur selben Zeit, in der ich mir noch sicher war, „BEI UNS würden keine Menschenrechte verletzt“, in meinem direkten Umfeld ein Verstoß gegen den Teil Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte statt, den ich zu Beginn dieses Artikels erwähnt habe. Und ich sah nicht nur dabei zu, ich war ein Teil davon.
Was hat diese Geschichte nun aber mit Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu tun?
Wenn Du mich fragst, sehr viel.
Die Geschichte deutet auf eines der aggressivsten und zerstörerischsten Krebsgeschwüre, an denen unsere westliche Gesellschaft leidet. Und dieses Krebsgeschwür heißt Selbstgerechtigkeit.
Selbstgerechtigkeit verblendet, sie lässt uns das eigene Unrecht nicht sehen, oder bringt uns sogar dazu, es zu rechtfertigen, in dem sie es mit den „viel schlimmeren Dingen, die Andere tun“, vergleicht.
Und im Bezug auf Menschenhandel, Ausbeutung aller Art und Zwangsprostitution ist die verblendete Selbstgerechtigkeit unserer Gesellschaft sehr groß. Schon oft, wenn in meinem Umfeld im Gespräch das Thema Prostitution kam, hörte ich Sätze wie „die machen das doch freiwillig“ und „man verdient dabei doch gutes Geld“. Oder: „Gott sei Dank ist das heutzutage legal, dann sind sie wenigstens krankenversichert und haben bessere Arbeitsbedingungen“. Wenn ich dann einwerfe, dass ein Großteil dieser Frauen gegen ihren Willen aus ihren Heimatländern verschleppt wurden und ihres Passes beraubt in einem Land, dessen Sprache sie nicht sprechen unter ständiger Gewaltandrohung dazu gezwungen werden, diesem Gewerbe nachzugehen und dass unsere liberalen Gesetze diverse Mafiaringe geradezu dazu befähigt und einlädt, ihre Macht bei uns auszuüben, werde ich meist mit großen, schockierten Augen angeschaut, bevor mein Gegenüber schnell das Thema wechselt oder tief seufzt und sagt „Ach, wie traurig!“ aber sich nicht im Geringsten die Frage stellt, was er oder sie potentiell dagegen machen könnte.
Die kurz aufgedeckte Ungerechtigkeit wird wieder unter den Teppich gekehrt wie ein totes Insekt und wir widmen uns angenehmeren Gesprächsthemen.
Selbstgerechtigkeit hindert uns daran, hinzusehen. Und falls wir aus irgendeinem Grund doch einmal hingesehen haben, drängt uns ein Gefühl der Hilflosigkeit, wieder wegzusehen.
Dabei sind wir nicht hilflos.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt…“
Wir sind begabt.
Mit Vernunft, die uns befähigt, Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind, Miss-Stände zu hinterfragen und kreative Lösungen zu finden. Mit einem Gewissen, das uns anspornt, die beste Version unserer selbst zu sein und uns dazu drängt, für Gerechtigkeit einzustehen.
Wir sind beschenkt.
Unser Grundgesetz gesteht nominell jedem von uns das gleiche Maß an Würde zu…. Das gleiche Maß, welches es einem Politiker, reichen Manager, gefeierten Künstler oder einem Mitglied der Royal Family zugesteht. Und aus dieser Würde ergeben sich Rechte, die durch unser Gesetz geschützt und nicht angetastet werden dürfen.
Weil Würde ein Begriff ist, den wir in unserer täglichen Sprache nicht so oft verwenden, möchte ich auf ihn noch etwas näher eingehen. Ich habe im Netz zwei grundlegende Definitionen von Würde gefunden:
Wür·de Substantiv, feminin [die]
1a.
Achtung gebietender Wert, der einem Menschen innewohnt, und die ihm deswegen zukommende Bedeutung
1b.
Bewusstsein des eigenen Wertes [und dadurch bestimmte Haltung]
Nach dieser Definition besitzen Opfer von Menschenhandel keine Würde. Denn weder werden sie von ihren Entführern und Zuhältern als wertvoll behandelt, noch können sie sich angesichts des Missbrauchs und der Scham, mit der sie täglich konfrontiert sind, selbst wertvoll fühlen. Sie sind zutiefst erniedrigt, entwürdigt und der grundlegendsten Menschenrechte beraubt. Sie sind physisch und mental gefangen, sie sind hilflos.
Du jedoch, der Du in Freiheit lebst…. Wieviel Würde besitzt Du? Wie sehr bist Du Dir deines eigenen Wertes bewusst und wie sehr beeinflusst dieses Bewusstsein Dein Handeln?
Wir von lightup möchten Dich dazu ermutigen, im Bezug auf Deine persönliche Würde nach den Sternen zu greifen und Dir bewusst zu machen, wie begabt, beschenkt und befähigt Du bist.
Wir sind davon überzeugt, dass wir umso mehr erreichen können, je mehr wir daran glauben, wirklich FÄHIG zu sein, durch unsere ganz persönlichen Begabungen und Ideen einen Unterschied machen zu können.
Wir möchten Dich dazu einladen, aus der Komfortzone herauszutreten und unangenehmen Fakten ins Auge zu sehen in dem Bewusstsein, dass DU etwas Wertvolles dazu beitragen kannst, Ungerechtigkeit zu bekämpfen.
Lasst uns gemeinsam den Entwürdigten unserer Gesellschaft „im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ , indem wir für die Wiederherstellung ihrer Würde und Grundrechte einstehen. Zusammen können wir die Welt verändern!