Ein Tag im Bordell

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"Neue Mädchen", "Asia Girls", "Book us" und vieles mehr steht an den Türen der vielen kleinen Studios, die Sabine und ich im 2. Wiener Gemeindebezirk besuchen. Es ist unser zweiter gemeinsamer Einsatz bei dem wir Frauen in Bordellen, Studios und Laufhäuser besuchen. Ich bin überwältigt und fassungslos. Und gleichzeitig fühlt es sich so an, als hätte ich nie etwas anderes gemacht und als wären es genau die Orte, an denen ich immer sein sollte. Bei den Frauen, oder oftmals eigentlich Mädchen, die meine Schwestern sein könnten.

Anfangs bin ich zurückhaltend, lächle die Mädchen an, verteile Kondome und Schokolade. Sabine erzählt ihnen von unserem Angebot. Dass wir ihnen Arzttermine organisieren können, oder Deutschkurse. Dass wir helfen können, bei kleinen Problemen, aber auch bei großen Problemen. Schon beim zweiten Einsatz im 2. Bezirk merke ich, wie ich mich an die Einsätze gewöhne. Wir klopfen an Studiotüren und die Mädchen lassen uns immer freundlich herein. Sie kommen aus Rumänien, Ungarn und Südamerika. Österreicherinnen treffen wir keine an. Ein Mädchen aus Rumänien ist alleine in einem Studio, in dessen Auslagefenster ein staubiger Herzpolster mit einem Lachgesicht darauf liegt. Sie erzählt uns, dass sie 20 Jahre alt ist und schon mit 15 Jahren nach Österreich gekommen ist. Wir fragen sie, ob sie Wien schon ein bisschen kennengelernt hat. Sie sagt "Nein". Ihr Leben besteht aus dem kleinen, süßlich riechenden Studio, dass ebenerdig liegt und direkt in einen Raum führt, in dem ein großes Bett steht. Ob sie wirklich erst mit 18 in der Prostitution angefangen hat, wagen wir zu bezweifeln.

Mit einigen der Frauen reden wir auch über Corona. Sie sagen, dass weniger Kunden da sind, aber sich sonst nicht viel geändert hat. Manche Männer waren trotzdem da. Die Maßnahmen der Regierung zum "Safer Sex" belächeln sie müde. Einige sind nach Hause zu ihren Familien gefahren. In einem großen Laufhaus im 23. Bezirk erzählt uns die "Madame" des Betriebs, dass sie über Monate mit einigen Mädchen im Laufhaus gelebt hat, um dort den Lockdown durchzustehen. Sie hat ihr Erspartes für Lebensmittel aufgebraucht und am Ende haben sie nichts mehr übrig gehabt. Sie haben Brot aus den Resten an Mehl gebacken und wüssten nicht, was sie am nächsten Tag essen sollten. 

Am Ende der Einsätze bin ich müde und gleichzeitig wie unter Strom. Was sich hinter den Türen dieser Laufhäuser und Studios abspielt, kann man sich kaum vorstellen. Man geht fast täglich an diesen Türen vorbei, aber ist sich nicht bewusst, welche dunkle Welt sich dahinter befindet. Und was für im dunkeln glänzende Schätze sich dahinter befinden. Frauen werden an diesen Orten, hier bei uns in Österreich, wie herkömmliche Ware, wie ein Stück Fleisch ohne Seele behandelt. Was an den Türen ihrer Zimmer über ihre Körper und die Dienste steht, die sie anbieten, kann ich hier nicht wiedergeben. Aber von sexueller Freiheit, Selbstbestimmtheit und Würde kann hier nicht gesprochen werden. Die Frauen sitzen in ihren Zimmern und schauen auf ihre Handys. Wir treffen junge Männer und alte Männer, die durch die Gänge streifen, sich die Mädchen anschauen, bis sie gefunden haben, was ihnen gefällt. Ich stehe daneben und kann nicht begreifen, in welcher Welt wir leben. Und wie weit weg wir uns von einer gleichberechtigten Gesellschaft befinden, in der um das Binnen-I gestritten wird und gleichzeitig die Frauen und Mädchen hinter den Hausfassaden zurückgelassen werden und ihre Körper benutzt werden von Männern aller Alters- und Gesellschaftsschichten. Männer mit Müttern, Schwestern, Ehefrauen. Männer mit Kindersitzen im Auto, die vor dem Laufhaus parken. 

Ich hatte das Privileg in diese Welt eintauchen zu dürfen. Als Teil des ehrenamtlichen Teams von Kavod möchte ich den Frauen, die wir treffen auf Augenhöhe begegnen. Und mit kleinen Gesten, mit netten Worten, mit unserem Angebot Beziehungen bauen. Denn ich habe bei den Einsätzen meine Schwestern gesehen, für die wir einstehen müssen, weil es niemand anderes tut. 

Jedida
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